Ausdrucksstark bis in die Fingerspitzen

Christian Füllgraff und Ulla Benninghoven haben in der Stadthalle den Flamenco als Kunstform zelebriert.

Man stellt sich ein Lagerfeuer in einem Zigeunerlager vor, er greift zur Gitarre, zupft einige Akkorde, zögerlich zuerst, dann spielt er eine Melodie, fordernde Blicke gehen hin und her zwischen dem Mann und der Frau, die etwas abseits im Feuerschein sitzt.
Flinke Finger gleiten dann über die Saiten der Gitarre, die Blicke werden feuriger, dann beginnt die Frau rhythmisch zu klatschen, der Fuß stampft im Takt der Musik, die Hand geht nach oben. Mit eleganter Drehung der Fingerspitzen verleiht die Tänzerin der Musik Gestalt.
So wie Christian Füllgraff und Ulla Benninghoven am Samstagabend in der Beilsteiner Stadthalle den Flamenco vor rund 100 vom Kulturverein Oberes Bottwartal zusammengebrachten Zuschauern zelebrierten, mag der Ausdruckstanz auch schon vor Hunderten von Jahren die Leidenschaften entfacht haben.
Dabei signalisiert die leicht gerunzelte Stirn der Tänzerin höchste Konzentration, was bei den komplizierten und dennoch leicht wirkenden Schrittfolgen auch nicht wundert. Ab und an umspielt ein Lächeln die Mundwinkel von Ulla Benninghoven, wenn Melancholie, Schmerz, Angespanntheit und Leichtigkeit ganz in der "Alegría", der Freude des Tanzes, aufgehen.
"Olé", ruft das Publikum begeistert. Auch einige Spanier sind anwesend und von der Darbietung äußerst angetan. Die Nichtspanier Füllgraff und Benninghoven haben den Flamenco als ihre Berufung entdeckt und perfektioniert, stehen den Andalusiern in puncto Leidenschaft kaum nach.
Beim Tango vollführt der geblümte weite Rock, geführt von Händen und Beinen, verführerische Bewegungen. Träumerische Fantasien lassen weite Landschaften vor dem inneren Auge entstehen. Die Arpeggien der Gitarre steigern sich zu rasanten Akkordfolgen, auch die langsam sinnlich gleitenden Bewegungen der Tänzerin gehen allmählich in stolzes Stampfen über, das den Boden der Stadthalle zum Beben bringt. Die mit hochhackigen schwarzen Schuhen bestückten Füße wirbeln so schnell über die Bühne, dass fast keine Konturen mehr zu sehen sind.
Schon wird die Gitarre wieder gestimmt und verstimmt, bei Isaac Albéniz" "Sevilla" begleitet Ulla Benninghoven die filigranen Melodien mit Kastagnetten. Katalanische Volksweisen wie "Die Spinnerin" und "Das Lied der Räuber" wechseln sich ab mit dem Fandango, einer spanischen Tanzform aus dem 17.Jahrhundert, bei der Tänzerin Ulla Benninghoven ein schwarzes Kleid mit einem weit ausladenden roten Tuch geschickt zum Einsatz bringt.
Ein fulminanter Zigeunertanz im schwarzen Kleid mit feurig-rotem Saum bringt sogar spanische und indische Elemente zusammen. Mit dem verdienten Applaus erklatschen sich die restlos zufriedenen Zuschauer noch einige Zugaben, bevor sie schließlich in den lauen Frühlingsabend entlassen werden.
Stuttgarter Nachrichten, Frank Wittmer

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Rhythmische Raffinesse

Von Leonore Welzin

Beilstein –
Die Schuhe trappeln nervös wie Pferde am Start, die Kastagnetten klacken wie Hufe im Galopp und die langen Fransen des Manton fliegen wie die Mähne eines pfeilschnellen Pferdes wenn Ulla Benninghoven, begleitet vom Flamenco-Gitarristen Christian Füllgraff, das Publikum in ihren Bann zieht.
Rund einhundert Besucher sind trotz sommerlicher Temperaturen in die Stadthalle gekommen, um sich ein Stück andalusischen Frühlings abzuholen. Der spanische Tanz mit indischen Wurzeln bündelt heute die ganze Kraft der langen Reise, die er durch die Jahrhunderte gemacht hat. Tief taucht das Duo Füllgraff und Benninghoven in die Historie ein.
Zeitreise
Vom "Fandango de Huelva", der die höfische Tanzkunst des 18. Jahrhunderts aufblitzen lässt, bis zum modernen Tango Canastero spannt sich ein Bogen rhythmischer Raffinesse, lyrischer Melodik und Funken schlagender Schrittfolgen. Alegrías, Bulerías, Soleás und Seguiriyas heißen die ursprünglichen Gesänge des Flamencos. Vom klatschenden Stakkato, den Palmas, begleitet, bringt die Lübeckerin den Holzboden zum Schwingen. Teils inspiriert von Flamencogrößen hat sie sich die Choreografien auf den Leib geschneidert. Benninghoven, die ursprünglich vom Tanztheater kommt, vermittelt nicht die sonnengegerbte Wucht, mit der wutschnaubende Südländerinnen den Boden erzittern lassen.
Stilwechsel
Vielmehr zähmt die Tänzerin, die der Schauspielerin Scarlett Johansson sehr ähnlich sieht, die archaische Wildheit mit makelloser Eleganz, überzogen mit Stolz, zarter Ironie und einem Hauch Marzipan. Zwischen die Tanzstücke streut Christian Füllgraff Gitarrensoli. Wie er rasend schnelle Tonfolgen artikuliert, wie er Register einsetzt, wie er Klänge differenziert: ob Granados" expressiver "Danza No. 5", Albeniz‘ klangimpressionistisches "Mallorca", gefühlvolle katalanische Lieder oder Francisco Tárregas Tremoloetüde "Hommage an die Alhambra" − dem Publikum stockt der Atem, bis sich die Begeisterung in spontanen Bravo-Rufen Luft verschafft. Ovationen im Stehen und eine Zugabe runden den belebenden Auftritt des sympathischen Flamenco-Duos ab.
Heilbronner Stimme / 05.04.2011